Ein Bericht aus dem Kultur-Rathaus der Stadt Dresden
Am „Tag der Befreiung“ anno 2024 fand in der Königstraße 15 in Dresden von 15:00 bis 17:00 Uhr eine denkwürdige (öffentliche) Podiumsdiskussion mit dem Titel „Der 13. Februar – Dresdner Sonderweg des Gedenkens oder weltweit verbindendes Friedenssymbol?“ statt. Eingeladen hatte Paul Elsner, Referent Strategische Planung und Beteiligung des Geschäftsbereichs Kultur, Wissenschaft und Tourismus. Dies erfolgte anscheinend per elektronischer Post innerhalb des Rathauses.
Die Teilnehmer waren: Rita Kunert (Initiative Dresden widersetzen), Uljana Sieber (Denkmalfort e.V.), Albrecht Nollau (Superintendent), Matthias Neutzner (Memorare Pacem), Michal Tomaszewski (Banda Communale).
Ein einleitendes Grußwort wurde von Annekatrin Klepsch, Bürgermeisterin für Kultur, Wissenschaft und Tourismus vorgetragen, die Moderation hatte Oliver Reinhard, Redakteur Sächsische Zeitung.
Die Einladung stimmte mit folgendem Text auf den zu erwartenden Inhalt ein:
„Im Jahr 2025 wird die Landeshauptstadt Dresden ein besonderes Gedenkjahr hinsichtlich des Jahres 1945 begehen. Am 27. Januar 2025 wird international der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz als Holocaust-Gedenktag begangen, am 8. Mai 2025 der 80. Jahrestag der Befreiung vom Zweiten Weltkrieg und der Diktatur des Nationalsozialismus. Am 13. Februar 2025 jährt sich zum 80. Mal die Zerstörung der Stadt Dresden.
Im erinnerungskulturellen Diskurs der Stadt dominiert bisher das Gedenken an den 13. Februar 1945. Überblendet es dabei die zentralen deutschen Gedenktage des 27. Januar und des 8. Mai sowie deren Stellenwert im europäischen Kontext? Falls ja, wie ließe sich auch in Dresden der 13. Februar “gebührender” in einen Kontext einbetten, der an die Befreiung von Auschwitz und an das Kriegsende erinnert, auch um Relativierungen jedweder Art vorzubeugen? Falls nein, wie ließe sich das Gedenken an die Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus erinnerungskulturell in einen Gesamtkanon einbinden, der nicht starren Ritualen folgt. So wurde u.a. die Dominanz des Symbols der Menschenkette am 13. Februar aus verschiedenen Richtungen als nicht mehr zeitgemäß kritisiert. Doch was kann an ihre Stelle treten oder sie würdig ergänzen?
Wie dabei mit der Tatsache umgehen, dass das Gedenken an den 13. Februar längst weltweit ausstrahlendes Symbol der Erinnerung an zivile Opfer militärischer Konflikte generell ist – und damit eine eigene große und letztlich wichtige und richtige Bedeutung hat?
In einer Podiumsdiskussion am 8. Mai 2024 im Kulturrathaus sollen diese Fragen erörtert werden. Dazu laden wir Sie herzlich ein. Diskutieren Sie mit!”
Insbesondere der im Zitat fett (von mir) hervorgehobene Satz hatte die vage Hoffnung geweckt, es könnte vielleicht doch eine konstruktive Gesprächsrunde werden, zumal das Thema Krieg aktuell wieder einmal sehr präsent ist.
Parallelwelten
Um es vorwegzunehmen: es kam so, wie zu befürchten war. Die glauben die Narrative, die sie erzählen, tatsächlich selber. Sie kämpfen angeblich gegen die “Geschichtsrevisionisten” (namentlich Tino Chrupalla und Maximilian Krah), nachdem sie die Geschichte erfolgreich nach ihrem verschrobenen Weltbild zurechtgeschrieben haben. Sie wollen die Geschichte selber in die Hand nehmen. Es ging natürlich weniger um den 13.2., als um den 27.01. und den 08.05. Und: auch beim Thema Gedenken wird das neue Feindbild Russland “gebührend” berücksichtigt. Die Angst vor dem Ausgang der nächsten Wahlen dominierte das Podium.
Frau Klepsch eröffnete mit solchen Gedanken, wie:
- wo, wie und mit wem man gedenken solle
- es gab definitiv nur 19.000 Opfer
- man müsse vielfältiges Gedenken aushalten
- Opfer und Täter berücksichtigen
- und sie sprach vom Engagement der Zivilgesellschaft
In solchen Momenten frage ich mich stets: gibt es in unserer Stadt außer der Zivilgesellschaft noch eine Militärgesellschaft? Besonders unangenehm beeindruckt hat mich der „junge Kämpfer für Demokratie“ Michal Tomaszewski, der nach dem Abitur aus Niedersachsen hergezogen ist und den die hier angetroffenen Mengen von Neonazis schockierten. So etwas hätte er in Niedersachsen nicht gekannt. Er gehört zu den bunten und lauten Menschen, die regelmäßig verhindern, dass auf dem Altmarkt am 13. Februar Anstand und Würde die Oberhand gewinnen. Nachdem er angab, Architekt zu sein und den Neumarkt in seiner jetzigen Form überhaupt nicht gut findet, zogen an meinem geistigen Auge alle seelenlosen Betonkästen der Stadt aus der Neuzeit vorbei und ich erahnte seine (unseligen) Ideale. Vermuten kann ich an dieser Stelle nur, dass er auch zu denen gehört, die seit Jahren die Umsetzung der Wettbewerbsergebnisse und Stadtratsbeschlüsse zur Bebauung des Neustädter Ufers blockieren. Der katholisch Aufgewachsene wüsste Symbole zwar zu schätzen – macht aber dem Bürgermeister Vorwürfe, daß er es „nicht in den Griff bekommt, daß jeden Montag Deutschlandfahnen vor der Frauenkirche wehen“ würden. Man kann nur vermuten, daß ihm die polnische (gemäß seiner Herkunft) besser gefallen würde. Er und seine Sinnesgenossen stellen sich auch „mutig“ Leuten in den Weg, welche an Gedenktagen Kränze niederlegen wollen.
Albrecht Nollau, ein Geistlicher, der wesentlich in der „AG 13. Februar“ mitgewirkt hat, betonte den Aspekt, daß er sich durch den 08. Mai 1945 nicht befreit fühlte. Das ist als gelernter DDR-Bürger nachvollziehbar, wirkt allerdings in der aktuellen Situation merkwürdig. Vermutlich zu Recht kritisierte er, dass beim jährlichen Gedenken im Januar in der Gedenkstätte im Schumannbau der TU für die Teilnehmer nur die Größe der niederzulegenden Kränze wichtig sei.
Von Rita Kunert kam der bemerkenswerte Satz in Bezug zur unseligen Entwicklung in der Vergangenheit: „Warum haben wir weggeschaut?“ Allerdings will sie kein Friedenssymbol von Dresden. Sie findet das „heuchlerisch“. Ich bin nicht sicher, ob sie und ihre Genossen heute in die richtige Richtung schauen …
Der Moderator Oliver Reinhard war abwechselnd der Ansicht, daß der 13.2. in Dresden die anderen Gedenkdaten überstrahlt, daß die Geschichtsrevision der AfD deren Aufstieg befördere, daß Nazi-Aufmarschbilder um die Welt gingen, daß die Menschenkette (die Zivilgesellschaft stellt sich schützend vor die Stadt) überholt sei und auch missbraucht würde, daß die Gedenkformen sich im Laufe der Zeit ändern würden und daß man den 27. Januar seit dem Israel-Krieg stärker betonen müsse.
Dabei stellte er darauf ab, daß im Jahr 2021 noch anders über den „Tag der Befreiung“ gesprochen worden sei, als das heute der Fall ist. In diesem Zusammenhang wurde auch erwähnt, daß das Sowjetische Ehrenmal auf dem Olbrichtplatz bereits einem „Kunstobjekt“ der „Banda Communale“ anheimgefallen sei.
Diesen Gedanken weitergesponnen, könnte man eine neue Bilderstürmer-Bewegung befürchten, da sich ja seit Februar 2022 ein neues Feindbild etabliert hat.Der Moderator erwähnte auch explizit die Aleppo-Schrottbusse auf dem Neumarkt im Februar 2017 und träumte der Aussicht nach, daß man dieses schöne Beispiel doch wieder aufgreifen möge. Das erinnert mich an die ISIS-Fahne auf dem Original in Aleppo …
Diese Stadt braucht endlich ein würdiges Denkmal
Es war auch die Rede davon, daß man einen Ort der Erinnerung braucht. Dafür gäbe es verschiedene Ansätze. Indirekt schwang hier der Altmarkt mit … In Bezug auf Gedenk-Orte scheint womöglich tatsächlich der geistige Zug noch nicht ganz auf dem Abstellgleis zu stehen. Allerdings ging der Gedankentrend auch in die Richtung, daß Orte keine große Rolle spielen, sondern die zu erzählenden Geschichten der Menschen.
Matthias Neutzner war ein wesentliches Mitglied in der Historiker-Kommission, die auftragsgemäß im Jahr 2010 die Opferzahl in Dresden auf maximal 25.000 festlegte.
Er leitet die veränderten Gedenkrituale aus der Feststellung her, daß die Familientradition aus dem Jahr 1945 heute nicht mehr bestehen würden.Besonders bemerkenswert fand ich von ihm folgende Aussage, hier sinngemäß wiedergegeben: Der Blick auf die Vergangenheit müsse immer hinterfragt werden und unser Geschichtsbild müsse weiterentwickelt werden.
Ich übersetze dies wie folgt: es wird nichts so bleiben, wie es objektiv geschichtlich geschehen ist.
Nahezu im gleichen Atemzug wird aber die Angst vor der AfD heraufbeschworen, welche geschichtsrevisionistisch sei, da sie z. B. behauptet, dass unsere Vorfahren keine Verbrecher gewesen seien (Maximilian Krah). Nach Neutzners Ansicht ist Dresden kein weltweit verbindendes Friedenssymbol, da das klare Bekenntnis der Stadt zu Frieden und Menschlichkeit fehlen würde. Die Chance sei vertan, das Symbol sei hohl und könne flexibel ausgelegt werden.
Dies scheint wohl ein grundlegendes Problem zu sein. Man will einfach nicht zulassen, daß sich jeder seine eigenen Gedanken macht.
Gert Bürgels virtuelles Denkmal
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die abschließenden Ergebnisse der Historikerkommission nie öffentlich diskutiert bzw. verteidigt wurden. Die personengebundene Datenbasis mit den Toten der Bombenangriffe wurde von der Stadtverwaltung sofort unter Verschluß genommen. Der Heimatforscher Gert Bürgel hat in langjähriger Recherche die Arbeit der Historikerkommission nachvollzogen. Diese ergab u.a., daß die Kommission weitere, vorhandene Quellen nicht erschlossen hat. Seine namentlich erfassten Opfer entsprechen zwar etwa dem Ergebnis der Kommission, er stellte aber fest, daß es darüber hinaus eine sehr große Anzahl ungezählter und namenloser Opfer gibt, die nicht berücksichtigt wurden. Insofern muß von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden. Hier sei beispielhaft auf die tausenden Flüchtlinge hingewiesen, unter denen es ebenfalls zahlreiche (namenlose) Opfer gab. Gert Bürgel hat mit seinem „Gedenkbuch der Namen“ und dessen digitaler Aufbereitung ein virtuelles Denkmal geschaffen und dies der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Von den Menschen auf dem Podium machte einzig Uljana Sievert einen moderat-vernünftigen Eindruck auf mich. Sie ist Leiterin der Stasi-Gedenkstätte auf der Bautzner Landstraße und hat in dieser Funktion oft sehr direkten Kontakt mit Zeitzeugen der DDR-Vergangenheit. Das scheint ihr den Blick für das reale Leben und Leiden der normalen Menschen bewahrt zu haben. Entsprechend vermittlungsorientiert waren ihre Beiträge. Im Laufe des Gesprächs sprach sie sich für die (Re-)Aktivierung der Friedensbotschafter aus.
Wortmeldungen aus dem Publikum
Nach reichlich einer Stunde hatten dann die Zuhörer die Möglichkeit, sich zu äußern.
Ein Attack-Dresden-Vertreter sprach zunächst davon, daß wir Konzepte für Friedenspläne brauchen, erwähnte die Friedenswachen vom 6. bis 9. August gegen Atomwaffen, sprach sich für das Einbeziehen der Friedensfrage in das Gedenken aus, landete schließlich aber in der Notwendigkeit der „Transformation“. (was immer er damit sagen wollte)
Eine Dame von HATIKA e.V. begrüßte den 8. Mai als Befreiungstag. Sie sei dankbar für die Beseitigung der Nazis. Den 27. Januar fand sie im Kontext zu Israel nicht passend, der 9. November wäre geeigneter. Für den 13. Februar allerdings hält sie „Nazis blockieren“ für richtig und keine Menschenkette.
Sie bevorzugt die Bilder von Wasserwerfern und Pfefferspray an diesem Tag.
Ein Vertreter des Deutsch-Russischen Kulturinstituts beklagte die Nichtbeachtung des 80. Jahrestages der Blockade von Leningrad. Trotz Erwähnung in der SZ sowie bundesweit hätte die Stadtverwaltung das Thema auf Eis gelegt. Das Kulturinstitut hatte dem Institut für Politische Bildung Unterstützung in dieser Sache angeboten, was dieses abgelehnt hat.
Der kurze Vortrag hinterließ eine gewisse Beschämung in Anbetracht der offiziell-medial betriebenen Kriegstreiberei bei mir.
Mein Fazit
Es war – wie so vieles – eine Alibiveranstaltung in Sachen neosozialistischer Deutungshoheit. Welcher Werktätige kann um diese Zeit in eine solche Veranstaltung gehen? Wer wußte überhaupt davon?
Die meisten Zuhörer wurden durch die Debatte bestätigt, bzw. haben den Ton sogar noch verschärft und sind vermutlich extra dafür gekommen. Von Würde und Anstand war (fast) nichts zu spüren, auch nicht von Respekt gegenüber der kollektiven Trauer und der noch immer verletzten Seele dieser Stadt.
Ich hätte mir gewünscht, daß von Dresden und all den schwer zerstörten deutschen Städten Deutschlands ein Signal des Friedens in die Welt gehen könnte, wie dies alljährlich in Hiroshima geschieht. Aber das kommt in den gestörten Köpfen nicht vor, da ja dort die immerwährende deutsche Schuld fest verankert ist. Ich hätte mir auch gewünscht, daß man es den Menschen endlich selbst überlässt, was sie denken.
Ich hatte aber nicht den Mut, dies in dieser Runde laut zu äußern.
Gastbeitrag von AB, Dresden, den 22. Mai 2024